K12

Social Networks und Spieltheorie

7. April 2008 · von Carina Waldhoff · 1 Kommentar

Alexander Lemke, 25, studiert Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und macht derzeit ein Praktikum bei K12. Hier sein erster Blog-Eintrag: Ein kurzer Abriss über den Zusammenhang von Spieltheorie und Social Networks:

User-generated-content ist das Schlagwort, wenn man von Web 2.0 spricht. Benutzer generieren Inhalte im Web – aber warum? Der User, der in der Onlinewelt ebenso wie im „Reallife“ laut Spieltheorie ein rationaler Nutzenmaximierer sein dürfte (es ist unwahrscheinlich, dass ein Mensch seine grundlegendsten Verhaltensweisen im Internet ändert), erzielt keinen Gewinn, wenn er Arbeit und Mühe in Webinhalte investiert. Der Internetwelt ist das „Lurkerphänomen“ wohl bekannt – der Großteil der Internetuser sind passive Akteure. Aber wie kommen dann z.B. die über 10­ Millionen Wikipedia-Artikel zu Stande, wenn „Trittbrettfahren“ so viel einfacher wäre? Was bewegt einen User dazu, seine Lauerstellung aufzugeben und sich aktiv in Social Networks zu engagieren?

Es gibt offensichtliche Motive, Webinhalte bereit zu stellen. Ökonomische Gründe dürften dabei die leicht nachvollziehbare Hauptrolle spielen. Auch die schier unendliche Anzahl sehr persönlicher Inhalte im Web kann man mit dem Drang der Menschen zur Selbstdarstellung und Selbstinszenierung als Teil der individuellen Bedürfnisbefriedigung plausibel erklären. Frei nach Andy Warhols Prophezeiung „In the Future, everyone will be famous for 15 minutes”, ist das Internet jetzt unsere Gelegenheit.
Schwerer, aus spieltheoretischer Sicht, gestaltet sich eine Erklärung für die zahlreichen nicht kommerziellen Social Networks und Open-Source-Projekte, bei denen Zusammenarbeit, Diskussion, Bereitstellung von Inhalt und kompetente Hilfestellung die Normalität darstellt und so scheinbar die Annahmen der Rational-Choice-Ansätze aushebeln. Wie kommt diese Kooperation vor dem Hintergrund zu Stande, dass „lurken“ eigentlich die präferierte „option of choice“ eines jeden rational handelnden Akteurs sein müsste?

Klassische Ansätze zur Überwindung des Dilemmas

Ein Ansatz besagt: Wenn die Anzahl der Akteure überschaubar ist, die Akteure den Ort der Handlung nicht verlassen können und jede Handlung eindeutig zugewiesen werden kann, ist laut Theorie die Überwindung des Kooperationsdilemmas möglich – Hm, Moment, Anzahl überschaubar, Immobilität und transparente Handlungszuweisung? Und das in den unendlichen, von Anonymität geprägten, Weiten des Internets? – Wohl eher nicht die Antwort. Nächster Versuch…
Eine weitere Idee betrifft den so genannten „Nahbereichsaltruismus“. Menschen entwickeln Sympathie für Menschen in ihrer näheren Umgebung und ziehen so einen Nutzen aus dem Wohlergehen der Anderen. Das führt zu einer gegenseitigen Hilfe bzw. Zusammenarbeit. Eine Annahme, die das Phänomen der Social Networks für kleinere Gruppen erklären kann und vor allem dann funktioniert, wenn die Akteure „offline“ ebenfalls eine soziale Beziehung pflegen. Der Nahbereichsaltruismus besitzt aber nicht die Wirkungsreichweite, um die riesigen Netzwerke im Web zu begründen. Eventuell könnten hier Netzeffekte à la StudiVZ die Tragweite steigern. „Jeder kennt jeden über jemand Anderen“ so, dass alle vom Altruismus durch Sympathie erfasst werden. Jedoch steigt bei zunehmender Größe des Netzwerks der Nutzen den man durch einen „free-ride“ erreicht, drastisch an und man erzeugt das so genannte Kollektivgutproblem.
Eine These mit größerer Reichweite ist die der „antizipierten Reziprozität“. Nach dem Motto „Ich helfe Anderen, damit auch mir geholfen wird“ entsteht quasi ein Netzwerk aus hilfsbereiten Usern, die gerne bereit sind etwas zu geben, weil sie ja aus ihrer Erfahrung wissen, dass sie etwas wiederbekommen. Das Reichweitenpotential ist nahezu uneingeschränkt. Diese Idee ist jedoch nicht vor der „golden opportunity“ (hier: die Chance, die Hilfe anderer zu nutzen und nichts wiederzugeben) gefeit und steht deswegen auf einem wackeligen Fundament. Grundlage ist Vertrauen. Klassischerweise beruht Vertrauen auf den Erfahrungen, die man mit seinem Gegenüber gemacht hat. Fehlt diese Erfahrung, ist eine Kooperation eher unwahrscheinlich. Ausweg ist der Begriff der Reputation, der im Stande ist eine Aussage über die jeweilige Vertrauenswürdigkeit zu machen. Auf den in der Onlinewelt schillernden Begriff der Reputation werde ich gleich noch mal zurückkommen. Erst möchte eine allgemeine Überlegung zu digitalen Informationen anstellen.
Digitale Informationen und deren Bereitstellung haben zwei enorme Vorteile gegenüber der herkömmlichen Schaffung und Verbreitung. Digitale Informationen können nicht verbraucht werden. Sind sie einmal online, werden sie zu einem kollektiven Gut. Sie können nahezu ohne Kostenaufwand beliebig oft kopiert und verbreitet werden. Außerdem haben sie durch das Internet das Potential, ohne allzu großen Kostenaufwand Abermillionen Menschen zu erreichen. Vielleicht ist für egoistisch-motivierte User die Aussicht durch massenmediale Veröffentlichung ein Millionenpublikum zu erreichen schon eine Gewinnsituation und Kollektivinteresse und Individualinteresse bilden keine Dilemmastruktur.
So, kommen wir nun, wie angekündigt, zur Reputation. Einer der Trendbegriffe der Onlinewelt. Der dort so abgenutzt ist wie ein Kaugummi, das man wochenlang zerkaut hat. Daran beteilige ich mich doch auch mal.

Reputation scheint in der eigentlich anonymisierten Onlinewelt eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Wie wichtig Reputation sein kann, zeigen z.B. die Werbeseiten der Online-Reputation-Manager, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Reputation ist im Internet nicht mehr nur Grundlage für eine Kooperation sondern scheint mir in der Welt der Social Networks und Foren Reputationsgewinn Ziel jeder Anstrengung zu sein, aus dem man, wenn auch nicht sofort erkennbar, Kapital schlagen kann.
So wird die Generierung von Reputation zum Hauptmotiv des „online Homo oeconomicus“ und gibt ihm erst den Nutzen, den er braucht, um sich in Social Networks zu engagieren. Sei es Reputationsgewinn nur innerhalb eines Onlinenetzwerks oder eine Reputation, die auf das „Reallife“ (Karriere, Ansehen, Anerkennung fachlicher Kompetenz) abfärbt, ein Nutzen ist in beiden Fällen vorhanden.

Bleibt für mich jetzt noch eine Frage zu klären: Warum habe ich diesen Artikel verfasst? =p

Autor: Carina Waldhoff

Carina Waldhoff, Jg. 75, ist Kommunikationsberaterin bei der K12 – Agentur für Kommunikation und Innovation in Düsseldorf. Sie studierte Anglistik, Psychologie und Pädagogik in Bochum und Barcelona sowie Kultur- und Medienmanagement in Hamburg. In ihrer Diplomarbeit beschäftigte sie sich mit dem Nutzen von Corporate Citizenship für die Unternehmenskommunikation. Nach dem Studium arbeitete sie als Referatsleiterin Interne Kommunikation bei der Vereinigten IKK in Dortmund, anschließend als Junior Consultant bei CP/COMPARTNER in Essen und reiste dann ein Jahr durch Australien, wo sie auch zum ersten Mal bloggte.

Ein Kommentar

  1. klml sagt:

    „Reputation zum Hauptmotiv des „online Homo oeconomicus““

    Das ist ein Punkt, aber nicht das Hauptmotiv. Alle von Ihnen Facetten mischen sich in diese Massenmotivation.

    Eins aber fehlt. Die einfach Möglichkeit etwas tun.

    Linux oder Wikipedia belohnt die wenigsten mit Reputation, oder auch nur soviel das es als Motivation reichen könnte.
    Richard Stallmann wollte damals keine Reputation für seinen Druckertreiber, er wollte einfach einen Druckertreiber. Und das andere diesen kopieren war ihm sogar sehr recht.

    Und Information erlaubt eine Allmende die eben durch Teilen nicht kleiner wird.

    Bei den abermillionen Usenetbeiträge oder Foreneinträgen ist das vielleicht etwas anderes, den die Zeit die verwende um jemanden Anderen, Fremdem zu helfen ist unwiederbringlich verloren. Auch hier ist die Reputation höchstens innerhalb des Forums. Die Möglichkeit sich über seine Interessen und Themen auszutauschen ist hier halt wesentlich höher als in der Eckkneipe.

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