K12

Buchtipp: „You are not a gadget. A manifesto.“ von Jaron Lanier

30. Januar 2012 · von Jörg Hoewner · 2 Kommentare

Kurzverdikt: Empfehlenswert (mit Vorwarnung)

Jaron Lanier – dieser Name dürfte für den einen / anderen vor allem jüngeren Onliner nur einer unter vielen Namen sein, die man schon mal wo gehört hat. Als jemand, der sich schon recht früh mit Neuen Medien / Online beschäftigt hat, ist Jaron Lanier einer DER Gurus, der sich schon Ende der Achtziger / Anfang der Neunziger mit dem Virtual Reality beschäftigt hat und als einer der idealistischen Vordenker der Neuen Medien etabliert hatte. Man muss noch anmerken: Lanier versteht sich auch als Musiker / Künstler, seine Vorträge pflegt er mit einer Beigabe aus der Ude (einem mittelalterlichen Musikinstrument) zu garnieren. Zuerst habe ich von ihm in Stewart Brands „Media Lab“ gelesen, das eines der drei Bücher ist, die mein Leben am nachhaltigsten beeinflusst haben.

Als ich gerade Lust hatte auf etwas Tiefgang, kam mir auf einem Büchertisch dieses Buch von Jaron Lanier unter die Finger. Und da musste ich zugreifen. Ich war also gespannt, was der alte Meister zu sagen hatte. Die Kernthesen:

  • Es gibt im Silicon Valley eine Ideologie der Fortschrittsgläubigkeit, die in der „Cloud“, „Information wants to be free“ und in der „Crowd-wisdom“ (oder Wikinomics) das Non-plus-ultra in den Onlinemedien sieht. Die meisten Entscheidungsträger würden davon ausgehen, dass Roboter und die KI die physische Existenz der Menschheit irgendwann obsolet machen und wir als Rasse nur eine Zukunft haben, indem wir unsere geistige Existenz, unsere Erlebnisse, unsere Persönlichkeit in die Cloud hochladen, so dass sie dort weiterexistieren kann (insofern sind das mit Facebook die ersten, schwachen Anfänge, der Grundgedanke ist ja nicht neu, sondern wird ja schon seit Jahrzehnten von Leuten wie Hans Moravec oder Marvin Minsky vertreten).
  • Die „Crowd(wisdom)gläubigkeit“ und die Kostenloskultur führt dazu, dass individuelle Leistungen von Künstlern, Erfindern und Wissenschaftlern nicht mehr angemessen gewertschätzt und und entlohnt werden.
  • Sein Punkt ist, dass die „Crowd“ bisher noch nicht wirklich etwas Neues hervorgebracht hat. Selbst das Vorzeigeprojekt „Wikipedia“ ist eben nichts Neues, sondern am Ende nichts als eine Enzyklopädie. Und ansonsten ist noch nicht ausgemacht, wo die „Crowd“ wirklich etwas Neuartiges geschaffen hat, was am Ende mit den Werken und Ideen eines DaVinci, Bach oder Einstein mithalten könnte. Die „Crowd“ gebärt Mittelmaß.
  • Er plädiert daher an ein Umdenken und fordert Alternativen, damit individuelle künstlerische Leistungen sich wieder lohnen.

Kurzum: Die von Lanier kritisierte Ideologie negiert das Menschliche. Mensch sein heißt Individuum sein. Individuum ist das Gegenteil von der „Crowd“.

Das Problem bei dem Buch ist, dass es zum Teil ziemlich krude geschrieben ist. Es ist schwer einen roten Faden zu erkennen, die Argumentation ist sprunghaft und häufig emotional (also wenig sachlich). An vielen Stellen wird eher auf Basis persönlicher Vorurteile basierend argumentiert, als dass versucht wird, den persönlichen Standpunkt intersubjektiv nachvollziehbar zu machen.

Auch die Lösungsansätze, die Lanier vorschlägt, sind sehr stark von Idealismus geprägt, um nicht zu sagen „realitätsfern“: Zur Entlohnung von Künstlern schlägt er alternative Erlösquellen wie „Telegigging“ (Bands treten auf Parties bezahlt als Hologramme auf) oder „Songles“ (Dongles für Song, also eine Art physische DRM) vor. Ersteres mag lustig sein (ist aber noch ein paar Jahre entfernt), für Letzteres ist der Zug meiner Meinung nach abgefahren (Dongles sind schon im Softwarebereich Selbstmord für Anbieter, es sei denn, man ist Quasi-Monopolist wie Autodesk).

Trotzdem muss ich sagen, dass es mich angeregt hat, über Aspekte von Social Media nachzudenken, die ich ansonsten als gegeben hinnehme und dabei neue Perspektiven einzunehmen. Ich bin zwar in Bezug auf das Social Media-/Crowd-Thema nicht ganz kritiklos, aber trotzdem habe ich diese Fragen noch nicht beantworten können:

  • Können wir uns vorstellen, dass Apple Erfolg gehabt hätte, wenn es auf Mehrheitsmeinungen oder auf Crowdsourcing gesetzt hätte?
  • Hat die Crowd wirklich schon etwas Neues zu Stande gebracht, außer neue Henkel für Starbucks-Becher vorzuschlagen oder die Produktionsmethoden von Enzyklopädien über den Haufen zu werfen? Was ist eigentlich aus „OSCar“ – dem Open Source-Car geworden?
  • Gibt es schon DEN von der „Crowd“ entworfenen Roman, DAS Musikstück, DAS Kunstwerk, das uns ähnlich in den Bann zieht und fesselt, wie das von einzelnen Autoren, Bands / Musikern kreierte?
  • Glauben wir wirklich daran, dass sich das jemals ändern wird?

 

 

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Autor: Jörg Hoewner

Jörg Hoewner: Jg. 1969, ist Geschäftsführender Partner der K12 – Agentur für Kommunikation und Innovation und Consultant für moderne Unternehmenskommunikation in Düsseldorf. Seit 1995 berät er Kunden im Bereich Online Relations / Online-PR und war damit einer der ersten Berater in Deutschland auf diesem Feld. In den vergangenen 20 Jahren hat Jörg Hoewner zahlreiche Kunden beraten, viele Unternehmen (darunter DAX30-Unternehmen) und mehrere Verbände. Darüber hinaus ist er als Referent aktiv und Autor zahlreicher Fachbeiträge – online, in Zeitschriften und Büchern. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit dem Thema integrierte Kommunikation, deren Messbarkeit und der Auswirkung von Kommunikationstechnologien auf die interne und externe Unternehmenskommunikation. Kontakt: Jörg Hoewner (joerg.hoewner@k-zwoelf.com) – T. +49 (211) 5988 16 32.

2 Kommentare

  1. Thomas Hornstein sagt:

    Kann Dir da nur beipflichten. Hab Herrn Lanier auf der UX Week in San Francisco live erleben dürfen und das sprunghaft-idealistische Bild, auf das man im Buch doch all zu oft stößt, hat sich auch dort durch seinen Vortrag gezogen. Es scheint auch ein wenig Frust darüber zu sein, dass das Internet wie auch alle altbekannte Kommunikationsformen nicht nur schwarz und weiß ausspuckt und die dort agierenden Kommunikatoren es erst recht nicht sind. Nichtsdestotrotz versteckt er in seinem Buch doch einige nette Ideen und Ansätze, die man sich durchaus mal anschauen könnte.

    Kein Must, aber ein echtes Nice-to-have-read Buch.

    Sein Artikel in der NY Times zum Thema SOPA klingt übrigens ähnlich: http://www.nytimes.com/2012/01/19/opinion/sopa-boycotts-and-the-false-ideals-of-the-web.html

  2. Der Beitrag in die NYT ist in der Tat ähnlich, aber liest sich etwas strukturierter. Zeigt aber die Art, wie weit er in seiner Argumentation ausholen muss. Und am Ende verliert er irgendwie den Faden.

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