Autor: Jörg Hoewner, notorischer Wechselwähler
„Entertainment is the supra-ideology of all discourse on television.“ (Neil Postman)
Ich hatte gestern die Gelegenheit, das Kanzerduell in zwei unterschiedlichen Medien verfolgen zu können: Das komplette Duell im (Auto-)Radio und viele Auszüge aus dem Duell als Wiederholung im Fernsehen. Ich war überrascht über die unterschiedliche Wirkung, die die beiden Medien bei vermeintlich gleichem Inhalt bei mir (und meiner Frau) hervorgerufen haben.
Über die Eigenschaften des TV als „kaltes“ Medium (McLuhan) und Print als „heisses“ Medium wurde schon viel geschrieben. Vergleiche zwischen Radio und TV wurden seltener adressiert, aber auch dazu haben sich schon kompetente Leute geäussert.
Nun, gestern hatte ich meinen persönlichen Feldversuch, bei der ich ausserdem meine eigene Kontrollgruppe war. Meine Wahrnehmungen:
Die Wirkung:
Im Radio schien Frau Merkel der Sieger. Sie schien häufiger auf die Fragen geantwortet zu haben, sich gut aus Angriffen von Schröder herauszuargumentieren und vor allem schien sie häufiger auf ihre zukünftige Politik einzugehen (wenn auch manchmal wenig konkret). Schröder dagegen, sicherlich ein souveränder Redner, hat in 90min kein Wort darüber verloren, was er denn in den nächsten vier Jahren zu tun gedenke.
Er verstand es geschickt, Fragen so umzubiegen, dass er sie nicht beantwortet musste, sondern dass Frau Merkel letztlich diejenige war, die an ihn gestellte Fragen beantworten musste. Natürlich hat auch sie häufig nicht auf die Fragen der Journalisten geantwortet, wie es Politiker eben häufig tun, aber eben doch häufiger als der Kanzler. Dieser verstand es darüber hinaus besser, Seitenhiebe auszuteilen, sei es auf Frau Merkels Versprecher, auf ihre Position vor dem Irakkrieg, etc.. Im Radio wirkte der Kanzler extrem unsympathisch.
Im TV wirkte das (wie auch die Umfragen bestätigen) anders. Durch die Art der Präsentation, die eher lockere Art von Schröder, die gewisse Souveränität, die er ausstrahlte, erzielte er die Wirkung, die er erzielen wollte: Kompetent, jemand, „der Bescheid weiss“. Das Bild kam an.
Die unterschiedliche Wirkung erkläre ich mir so: Bilder erzeugen eine andere Art von inhaltlicher Wahrnehmung: Welches Bild wird vermittelt? Welche Gefühle werden erzeugt? Welche Sympathien? Wer hat die meisten Lacher oder Nicker auf seiner Seite? Die inhaltlichen Argumente sind zweitrangig, deren Präsentation gibt den Ausschlag.
Im Radio dagegen bekommt man von der Präsentation (bis auf die Stimme) nicht so viel mit, da ist es egal, welche Frisur jemand hat, ob jemand schmollend dreinschaut oder souverän, die Hand in der Hosentasche lässt oder mit den Händen die Luft zerteilt.
Da gibt es nur die Möglichkeit, auf die Inhalte (d.h. die Argumentation) und die Stimmlage zu hören. Natürlich rufen auch diese zuweilen Emotionen hervor (vor allem Ärger 😉 ), aber der aufmerksame Zuhörer achtet doch viel mehr auf die Inhalte, weil ihm am Ende auch gar nichts anderes übrigbleibt, während der aufmerksame Zuschauer andere Sinne erregt bekommt.
Die entscheidende Frage ist natürlich, welchen Einfluß die Wahrnehmung des Duells auf die Wahlentscheidung nehmen wird. Ich bin gespannt auf die Analysen danach. Hängt die Entwicklung dieses Landes in den nächsten vier Jahren wirklich von einem im Bauch erzeugten Sympathiegefühl ab?
Man kann darüber lamentieren, wie arm der öffentliche politische Diskurs heute aussieht. Neu oder originell ist diese Erkenntnis nun wahrlich nicht.
Walter Lippman („Public Opinion“) bringt es auf den Punkt:
„The larger the number of people, the simpler the communication must be.“