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Internet und Rechtschreibung: zwischen Konkurs und Konjunktur

2. März 2012 · von Katharina Jung · Keine Kommentare

Seit das Web 2.0 und die Rechtschreibreform ihre Siegeszüge gehalten haben, ist das mit der Rechtschreibung im Internet so eine Sache: Man könnte meinen, alle schreiben, wie sie wollen. Zugleich blühen Seiten und Blogs mit Rechtschreibhinweisen, Beschwerden über die Verwahrlosung der Rechtschreibung und jede neue Software, in der geschrieben wird, bietet Rechtschreibhilfen. Selbst Google unterkringelt falsche Schreibung im Suchfeld. Bei fehlerhafter Eingabe zeigt die Suchmaschine dennoch richtige Ergebnisse. Und wer kennt nicht diese Korrektur-Posts bei Facebook: „,Um’ nicht ‚am‘ meine ich natürlich“. Selbst wenn der Begriff auch ohne Korrektur verständlich ist, haben die Autoren anscheinend das Gefühl, eine Korrektur sei nötig.

In privaten Zusammenhängen entscheidet jeder selbst, wie er mit der Rechtschreibung im Internet auf den verschiedenen Plattformen und unter unterschiedlichen Bedingungen umgeht:

  • Bei SMS und privaten Social-Media-Einträgen per Smart-Phone ignoriere ich gekonnt die roten Kringel für die Kleinschreibung (oder stelle das Ganze gleich aus). Denn, wenn ich hier schreibe, geht es mir vorwiegend um Schnelligkeit und Verständlichkeit. Kunden schreibe ich normalerweise keine SMS.
  • In den sozialen Netzwerken bin ich im Zwiespalt. Zwar schreibt man schnell, zugleich aber auch für eine relativ breite Öffentlichkeit. Daher rühren wohl die Entschuldigungen für oder sogar das Löschen von fehlerhaften Kommentaren. Kleinschreibung wird noch eher als „bewusst“ und „lässig“ toleriert.
  • E-Mails schreibe ich auch privat möglichst korrekt, da sie für mich den Brief ersetzen und wenig mit mündlicher Kommunikation gemein haben.
  • Auch Redaktionssysteme für Blogs und Websites reden manchmal ein Wörtchen mit beim Thema: Gedankenstriche und Bindestriche zu unterscheiden oder Anführungsszeichen – wie im Deutschen korrekt – unten und oben zu setzen, ist dort oft gar nicht einfach: Entweder man überlistet das Redaktionssystem (beispielsweise durch Tastenkombinationen) oder man beugt sich ihm (beispielsweise bei den Anführungszeichen) und widerspricht dem Duden. Meine Einstellung ist dabei: Hauptsache einheitlich.
  • Foren sind aus Rechtschreibperspektive ganz besonders schlimm. Warum? Ich selber schreibe dort selten. Aber ich vermute einmal, dass hier der Schutz der Anonymität sein Unwesen treibt. So achten die Autoren wohl nur noch auf Verständlichkeit (wenn überhaupt), nicht aber auf Schönheit und Richtigkeit ihrer Fragen und Antworten. Allerdings sind öffentliche Forenbeiträge leicht per Suchmaschinen aufzufinden und das über einen langen Zeitraum. Als Foren-Autorin würde ich entsprechend auf Rechtschreibung achten, zumal falsche Schreibung bei anderen Forennutzern nicht unbedingt Sympathie und Hilfsbereitschaft provoziert: Dann wird ewig über Rechtschreibung diskutiert, anstatt die eigentliche Frage behandelt. Zum anderen ist das Internet ein ebenso öffentlicher Raum wie die Straße, den man – soweit es in den eigenen Händen liegt – nicht verschandeln sollte.

Generell kämpfen die Schnelllebigkeit und die Langlebigkeit, die Privatheit und Öffentlichkeit der Daten miteinander sowie die Funktionen von Verständlichkeit und Repräsentation der Worte und Sätze im Internet. Das erinnert mich an das Kontinuum „konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit“, auf dem Medienarten eingeordnet werden können (basierend auf Koch/Österreicher 1985/1994): Manche Online-Kommunikation ist der „klassisch schriftlichen“ näher als der „klassisch mündlichen“ und andersrum.

Rechtschreibfunktionen unseres Hirns ins Internet ausgelagert

Für den scheinbaren Widerspruch zwischen den zahlreichen Rechtschreibblogs und der offenbar immer unwichtiger werdenden Rechtschreibung könnte darüber hinaus eine partielle, bei mir selbst beobachtete, „Auslagerung des Gehirns ins Netz“ sorgen. Ob sie wirklich ressourcensparend ist, darüber lässt sich streiten:

Seitdem ich in verschiedenen privaten Medien aus Faulheit bewusst alles klein schreibe, bin ich unsicherer, was Groß- und Kleinschreibung betrifft. Die Reform der Reform hat zudem mein Rechtschreibegefühl ruiniert (Abitur schon in neuer Rechtschreibung geschrieben, dann wurde diese wieder reformiert). Also suche ich nach: „Morgen Nachmittag“ oder „Morgennachmittag“? Ich lese die Antwort: „So, und so nicht“, wende es an. Dann denke ich mir: Super, das kann ich ja nachlesen und – vergesse es wieder …  Und so schaue ich wieder und wieder nach und spare vielleicht Gehirnspeicher, aber sicherlich keine Zeit.

Fazit zum privaten Schreiben im Internet

Die Entscheidung für oder gegen die Groß- und Kleinschreibung und die Qualität der Rechtschreibung sollte im Privaten im eigenen Interesse bewusst und kontextabhängig sein. Im professionellen Zusammenhang ist die Fragestellung noch etwas anders gelagert; Redaktionsleitfäden können hier eine Lösung sein. Aber das ist Thema für einen weiteren Blogbeitrag in absehbarer Zeit.

Im Privaten empfiehlt sich eine korrekte Schreibweise – nicht nur im Sinne der Verständlichkeit – auf jeder öffentlichen Plattform. In E-Mails und SMS steht  die Verständlichkeit im Vordergrund. Aber wahrscheinlich ist es nur wenigen egal, wenn die eigenen Freunde sie für Legastheniker halten. Also: Alles besser in Maßen.

P. S. Das Ganze hat auch sein Gutes: Wenn dann doch mal ein Fehler reinrutscht, kann man sich zumindestens trösten. Denn wahrscheinlich halten einige Leser es für richtig und das mühsam erarbeitete Richtige trotzdem für falsch. 😉

Tipps und Tools zur Rechtschreibung im Internet

  • Tastaturkombination für den Gedankenstich im Unterschied zum Bindestrich: „Alt 0150“
  • Die Anführungszeichen lassen sich in Redaktionssystemen oft nur mit Hilfe des Entwicklers oder Kopierens per Word richtig setzen.

Tool zum Überprüfen der Rechtschreibung im Internet:

Texte zum Thema Rechtschreibung im Internet:

SEO und Rechtschreibung:

  • Interessanter Artikel zum Thema SEO und Rechtschreibung und dazu, was die Google-Korrekturhilfen für Suchmaschinenoptimierer bei der Umstellung bedeutet haben

Das Modell der konzeptionellen Mündlichkeit und Schriftlichkeit und die Medienkommunikation:

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