K12

Die Zukunft der Realität

21. Februar 2022 · von Joerg Hoewner · Keine Kommentare

In der US-Ausgabe des Magazins Wired gibt es ein großes Themenspecial zum Thema „Was ist die Zukunft der Realität?“. Spannender Titel, aber ein bisschen irreführend. Denn im Grunde geht es um die Frage, durch welche Technologien in Zukunft vermutlich unsere Realitätskonstruktionen (mediatisiert) beeinflusst werden.

Anlass für die Redaktion war die Veröffentlichung des jüngsten Sprosses der Matrix-Film-Familie, The Matrix Resurrections. Das Hauptnarrativ der Matrix-Reihe: Wir leben in einer Simulation, die Realität, wie wir sie kennen, ist nur ein Schein. Und um dahinter zu blicken, müssen wir die Pille der Erkenntnis nehmen und nur dann haben wir vielleicht eine Chance, diese Scheinrealität auch zu verändern – zu hacken.

Simulation als Realität

In seiner Story und durch seine Ästhetik hat der erste Film der Reihe damals (1999) Furore gemacht, auch, wenn die Story an sich nicht völlig neu war. Die Grundidee lehnte sich stark an die Cyberpunk-Literatur der 1980er an, an wegweisenden Romanen wie „Neuromancer“ von William Gibson oder „Snow Crash“ von Neal Stephenson.

Diese Romane haben nicht nur Filme wie Matrix oder Blade Runner beeinflusst, sondern waren auch Stichwortgeber für Medientechnologien, die erst später serienreif wurden, wie Virtual Reality oder für den Begriff Cyberspace als „konsensuelle Halluzination eines von Computern erzeugten grafischen Raums“.

Fast zeitgleich entwickelten die französischen Medienphilosophen Jean Baudrillard und Paul Virilio – unabhängig voneinander – Konzepte wie dem vom „Simulacrum“ (Baudrillard) oder der mediatisierten Beschleunigung von allem (Virilio) und beschreiben damit frühzeitig noch vor der Massennutzung des Internets die Herausforderungen, mit denen sich die Menschheit konfrontiert sieht, wenn Realitätskonstruktionen von Referenzpunkten entkoppelt werden.

Das Special von Wired setzt also beim Film und seiner Vorgeschichte an und reißt die Entwicklungen an, die für die Zukunft der Realität schon sichtbar sind. Ich fasse im Folgenden die

Technologien für die Zukunft der Realität

zusammen:

  1. Fake News: Eigentlich konstruieren alle Medieninhalte Realität, nur einige konstruieren mehr als andere. Wenn Referenzen willkürlich werden, kann man von „Fake News“ sprechen. Ein Thema, mit dem wir uns in Zeiten von Content Bots zunehmend auseinanderzusetzen haben. Wired berichtet von Jonas Bendiksen, einem Dokumentarphotografen, der die berühmt-berüchtigte Fake News-Fabrik in Veles, Nord-Mazedonien, besucht haben will. In Veles wurden viele der Falschnachrichten produziert, die im ersten Trump-Wahlkampf die Stimmung aufgezeigt haben. Der Twist bei Bendiksen: Er benutzt die Sprach-KI GPT-2 (nein, nicht GPT-3), um verschiedene Versionen seiner Reportage, insbesondere des dargestellten Bildmaterials, zu generieren. Meta-Fake News sozusagen. Schönes Experiment.
  2. Neuro Implantate: Die Idee von William Gibson (Neuromancer) war, dass über neuronale Implantate Schnittstellen zwischen Computer und ZNS hergestellt werden und so realistische Simulationen des Cyberspace direkt in unser Nervensystem induziert werden können. Eine Idee, die viele Gamer wahrscheinlich begeistern würde, Spiele „real“ zu erleben. Nur sind wir noch nicht soweit, momentan können wir zwar visuelle oder andere z.B. olfaktorische Reize erzeugen. Aber die Mittel dazu – die Reize werden über Elektroden erzeugt – sind noch recht grob. Es ist so, als ob man mit einem Vorschlaghammer filigrane Michelangelo-Statuen aus Marmor heraushauen wollte. Das Hirn ist einfach zu komplex, um es durch Elektroden abzubilden. Anders sieht es bei Sinnesnerven aus: bei Implantaten für das Hören und für das Sehen, sind wir schon ein bisschen weiter. Bis wir also hier von Realitätskonstruktion sprechen können, ist es noch was hin.
  3. Metaverse: Der Begriff „Metaverse“ ist literarisch quasi das Pendant zu „Cyberspace“ und wurde erstmals in „Snow Crash“ (s.o.) erwähnt. Heute wird der Begriff stark gehyped alc Chiffre für die Idee, einen virtuellen, dreidimensionalen Raum zu kreieren, in dem wir alle als User / Konsumenten via Avataren repräsentiert und aktiv werden. Für Facebooks Mutterfirma „Meta“ (Abk. v. „Metaverse“) ist die Idee so zentral, dass sie ihren Firmennamen entsprechend geändert haben und das Geschäftsmodell in diese Richtung ausrichten. Dabei geht es nicht nur darum, 3D-VR-Brillen (der Marktführer Oculus ist eine Meta-Tochter) zu verkaufen, sondern hier entsteht ein Markt für Unternehmen, als Transaktionsplattform für reale Güte, vor allem für virtuelle Güter, z.B. auch für virtualisierte Kunst (Stichwort NFTs).
    Für John Hanke von Niantic ist die Meta-Idee von Zuckerberg eine Dystopie, weil sich Menschen zunehmend aus der physischen Realität verabschieden würden, die ja eigentlich unser Leben bereichern würde. Er plädiert für einen alternativen Ansatz, einer Art Augmented Reality-Social Network, an dem natürlich seine Firma arbeitet. Auf dieser Plattform wird die physische Realität mit der digitalen vermischt. Beispiel: Man läuft durch eine Stadt und kann in der physischen Umgebung die 1920er wiedererleben etc..

    Ob der Zuckerberg oder Hanke am Ende Recht haben wird sich zeigen. Sind die Nutzer soweit? Vielleicht wird es am Ende dann doch ein chinesisches Meta?
  4. Hyperobjekte: Die Literaturwissenschaftler Timothy Morton hat den Begriff der „Hyperobjects“ geprägt, um Objekte zu bezeichnen, die so massiv in Raum und Zeit verteilt sind, dass sie sich einer Verortung entziehen. Wir nehmen nur ihre Symptome oder Auswirkungen war, nicht das Objekt an sich. Als prominentes Beispiel nennen sie den Klimawandel oder radioaktives Plutonium. Das Konzept „Hyperobjekt“ bringt somit Themen auf den Begriff, die ansonsten qua Komplexität nicht mehr „begreifbar“ sind. Das Thema kommt auf meine Leseliste, weil so ganz erschließt sich mir das noch nicht.
  5. Crypto-Everything: Kryptowährungen, Kryptokunst, Kryptopunks… Eine weitere Ebene der Realitätskonstruktion, über die viel geschrieben wurde…

Soweit ein Überblick über die in Wired angesprochenen Themen zur „Zukunft der Realität“. Es ist auf jeden Fall ein spannender Einblick, vermutlich nicht vollständig, aber mit Themen, mit denen wir, die in der Medienwelt professionell unterwegs sind, uns früher oder später auseinandersetzen müssen.

Autor: Joerg Hoewner

Jörg Hoewner: Jg. 1969, ist Geschäftsführender Partner der K12 – Agentur für Kommunikation und Innovation und Consultant für moderne Unternehmenskommunikation in Düsseldorf. Seit 1995 berät er Kunden im Bereich Online Relations / Online-PR und war damit einer der ersten Berater in Deutschland auf diesem Feld. In den vergangenen 20 Jahren hat Jörg Hoewner zahlreiche Kunden beraten, viele Unternehmen (darunter DAX30-Unternehmen) und mehrere Verbände. Darüber hinaus ist er als Referent aktiv und Autor zahlreicher Fachbeiträge – online, in Zeitschriften und Büchern. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit dem Thema integrierte Kommunikation, deren Messbarkeit und der Auswirkung von Kommunikationstechnologien auf die interne und externe Unternehmenskommunikation. Kontakt: Jörg Hoewner (joerg.hoewner@k-zwoelf.com) – T. +49 (211) 5988 16 32.

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