K12

Kooperative Technologien auf dem Prüfstand. Oder: Call for action. Interview mit Christiane Schulzki-Haddouti.

9. November 2007 · von Joerg Hoewner · Keine Kommentare

Christiane Schulzki-Haddouti ist Dipl.-Kulturpädagogin und befasst sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Darmstadt mit  kooperativen Technologien in Arbeit und Ausbildung im Rahmen einer Studie für den Projektträger Innovations- und Technikanalyse (ITA) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Seit 1996 ist Christiane Schulzki-Haddouti freie Journalistin. Seither hat sie in zahlreichen Tageszeitungen, Online-Medien, Fachzeitungen und Fachzeitschriften veröffentlicht. Sie hat mehrere Bücher verfasst und herausgegeben. Ihre Berichterstattung befasst sich durchgängig mit der gesellschaftlichen Relevanz von Informationstechnologien sowie relevanten Technologietrends.

Zur Ausgangslage des Projekts:

Ein ernüchterndes Bild zeichnet die Studie „Enterprise 2.0 in Deutschland“ von CoreMedia und Berlecon zum Einsatz von Web 2.0 Technologien in wissensintensiven deutschen Unternehmen. So werden Technologien wie Wikis, Blogs oder Social Bookmarking zu über 90% weder abteilungsübergreifend noch unternehmensübergreifend eingesetzt. Damit bleibt jedoch der wesentlich Nutzen dieser Techniken, nämlich die Erschließung eines kollektiven Wissens weitgehend ungenutzt – neue Wissensinseln entstehen.

Vor allem der konkrete Nutzen für die Firmen ist noch unklar. Fast 90% der Befragten gaben an, dass die Anforderungen an die effiziente Zusammenarbeit und den Wissensaustausch gestiegen sind. Häufig werden sie aber von der ITK nicht hinreichend unterstützt. Der Bedarf ist also offensichtlich da, wird aber nicht adäquat begegnet
Wie nützlich diese Techniken sein können, will die KoopTech-Studie zeigen, die Einsatzszenarien für verschiedene Arbeits- und Lebensbereiche erarbeiten wird.

Christiane Schulzki-Haddouti (im Interview unten kurz CSH) und ich (Jörg Hoewner, m-uk) haben uns letztes Jahr bei einem umfangreichen Projekt zum Thema „Mobile 2.0“ für einen der weltweit führenden Mobilfunk- und Telekommunikationsanbieter kennengelernt.

M-uk: Im Rahmen des Projektes „KoopTech“ betreibst Du ein Blog und ein dazugehöriges Wiki. Was ist das für ein Projekt und warum betreibst Du das?

CSH: Das Projekt versucht Anwendungsszenarien für kooperative Technologien in verschiedenen Arbeits-, Lern- und Lebensbereichen zu entwickeln. Dafür untersuchen wir den gegenwärtigen Bestand an kooperativen Technologien, die zur Zeit auch unter dem weicheren Begriff der Web-2.0-Technologien bekannt sind. Außerdem sprechen wir mit Experten über Erfahrungen mit dem Einsatz solcher Techniken.

m-uk: Wer ist „wir“?

CSH: Das sind Prof. Lorenz Lorenz-Meyer von der Hochschule Darmstadt und ich. Lorenz-Meyer hat als Online-Redakteur bei SPIEGEL ONLINE und Internet-Redaktionsleiter der ZEIT, sowie als Berater bei der Bundeszentrale für politische Bildung und bei der Deutschen Welle unterschiedliche praktische Erfahrungen mit dem Einsatz kooperativer Technologien gesammelt. Ich habe mich seit 1996 mit dem Thema Online-Communities geschäftigt, unter anderem als langjährige Leiterin der ersten deutschen Blog-Community für Jugendliche namens „Cyber Tagebuch“, die es heute noch gibt. Außerdem habe ich mich in der journalistischen Praxis und im Universitätsunterricht mit kooperative Technologien auseinandergesetzt.

m-uk: Wie bist Du zu dem Thema gekommen und warum scheint Dir das Thema wichtig genug?

CSS: Zur Zeit experimentieren Unternehmen, Universitäten, aber auch zivilgesellschaftliche Gruppen mit Techniken wie Wikis, Blogs, Instant Messaging oder Microblogging, doch ausgesprägte Einsatzstrategien lassen sich noch nicht wirklich erkennen. Inwieweit die neuen Medien neue Formen der Kooperation und Kollaboration ermöglichen und inwieweit diese auch Rückwirkung auf die soziale Organisation haben können, finde ich spannend.

Fraglich ist aber auch, ob bestimmte Organisationformen den koordinierten Einsatz solcher Techniken verhindern. Mir geht es deshalb darum, diese praktischen Erfahrungen zu sammeln und auszuwerten, um für verschiedene Einsatzzwecke eine möglichst optimalen Toolmix zu entwickeln.

m-uk: Du sprichst von „Anwendungsszenarien“… Was versteht Ihr genau darunter? Gibt es eine Definition? Eine Vorgehensweise?

CSH: Wir entwickeln aus einer Literaturanalyse, aus einem Benchmarking von bestehenden Anwendungen sowie aus den Experteninterviews exemplarische Anwendungsszenarien für die Bereiche Arbeitswelt, Ausbildung und Zivilgesellschaft. Dabei versuchen wir etwa im Bereich der Medien für die Redaktion einer Zeitung zu beschreiben, welcher Toolmix unter welchen organisatorischen und technischen Bedingungen effizient eingesetzt werden kann.

m-uk: Die Verlage müssen Euch doch die Bude einrennen – schliesslich wird seit Jahren experimentiert, ohne dass Onlinemedien DIE Lösung gefunden haben, wie man Web2.0 einsetzt und gleichzeitig Geld verdient?

CSH: Ja, das ist zur Zeit ein ganz heißes Eisen. Allerdings geht es zur Zeit primär darum, wie man Web-2.0-Features in die eigenen Websites einbaut. Eine gerade vorgestellte Studie (http://www.wortfeld.de/wiki/index.php/Features_von_Zeitungs-Websites_in_Deutschland) zeigt, dass sich die meisten Verlage in Deutschland im vergangenen Jahr damit intensiv beschäftigt haben. Eine ganz andere Frage ist jedoch, wie sich die Verlage intern organisieren. Wie arbeiten die Redakteure zusammen? Welche Tools nutzen sie dafür? Sind diese Tools der Liebhaberei einzelner entsprungen und werden daher nur individuell genutzt, oder vernetzen sich die einzelnen untereinander, weil das auch von der Leitung erwartet und gefördert wird? Wie halten die Redakteure Kontakt zu Korrespondenten und freien Autoren? Nur per Telefon und e-Mail, oder auch über Instant Messaging und andere Awareness-Tools? Gibt es gemeinsame Themen-Pools mit freien Autoren? Tauscht man untereinander Recherchehinweise über Social-Bookmarking-Tools aus oder vermeidet man das eher aus Angst vor Themenklau?

m-uk: Ich fand Deinen Satz bemerkenswert: „..inwieweit diese auch Rückwirkung auf die soziale Organisation haben können, finde ich spannend. Fraglich ist aber auch, ob bestimmte Organisationformen den koordinierten Einsatz solcher Techniken verhindern.“ Da wir uns ja bei K12 mit Organisationskommunikation und -strukturen beschäftigen: Gibt es da von Eurer Seite schon spruchreife Zwischenergebnisse oder zumindest Thesen, inwieweit Organisaionsformen behindernd sein können und wie Rückwirkungen von Kooperativen Technologien auf Organisationen aussehen können?

CSH: Spruchreif ist leider noch gar nichts, weil wir ja noch in den Interviews stecken. Aber aufgrund der Literatur sowie einigen Gesprächen lässt sich schon die These aufstellen, dass der Einsatz der Tools eng an die organisatorischen Bedingungen angepasst werden muss, um erfolgreich sein zu können. Sonst dürfte es zu Akzeptanzproblemen führen.

Zum Beispiel ist zu erwarten, dass sich in einem Unternehmen mit dezentraler Organisationsstruktur leichter Mitarbeiterblogs einführen lassen. Mitarbeiter, die sich nur selten persönlich treffen, erfahren gerne über ein Blog, was andere gerade machen und tun. Mangels Flurfunk sind sie auch eher bereit dies zu kommentieren.

Auch ein Wiki wäre hier sinnvoll, um Informationen zentral auf einfache Weise zu sammeln und zu aktualisieren.

Auch Instant Messaging könnte über die Awaressfunktion die Kommunikation erheblich erleichtern.

Umgekehrt werden Instant-Messaging-Tools auf wenig Gegenliebe stoßen, wenn sich Mitarbeitern in einem Unternehmen mit zentraler Organisation fast tagtäglich in der Kantine oder in Meetings begegnen.

Hier wird vermutlich der Einsatz von Wikis sinnvoll sein, über den zum Beispiel Routinen geregelt werden.
Deckt sich das mit deiner Erfahrung?

m-uk: Instant Messaging ist ja en vogue, da es eine unkomplizierte Echtzeit-Kommunikation ermöglicht, ohne anderen den Zeitpunkt der Kommunikation (wie beim Telefon) aufzwingen zu müssen. Ich sehe IM eher in der pragmatischen Kommunikation in Projekten, Wikis eher in der dauerhaften Strukturierung und Speicherung von Wissen im weiteren Sinne. Je dezentraler eine Organisation ist, desto größer der Nutzen. Da stimme ich Dir zu. Am Ende hängt der Erfolg von Kooperativen Technologien immer davon ab, dass der individuell wahrgenommene Nutzen größer ist als der Aufwand. Die Schwierigkeit steht darin festzustellen, wo und wie man hier den Break-even festmachen kann.

CSH: Genau, der sehr inviduelle Nutzen muss höher sein. Wobei es durchaus im Interesse einer Organisation ist, festzustellen, worin sich ihr eigenes Interesse mit dem der Mitarbeiter deckt, um dann die Tools erfolgreich einführen zu können. Voraussetzung dafür ist eine gehörige Portion an kritischer Selbstreflexion, die zur Zeit, das ist mein Eindruck aus den Medien-Interviews, noch vermieden wird.

m-uk: Wie können wir, wie können unsere Leser euer Projekt unterstützen? 

Wir brauchen noch Interviewpartner in den Unternehmen.

Und das Wiki kann jederzeit erweitert werden! Man muss sich nur registrieren. Ich würde mich auch über Kommentare und Tipps im Blog freuen. Eine Erweiterung zum Wiki besteht zur Zeit darin, die bereits klassifizierten Tools im Blog detaillierter unter die Lupe zu nehmen – in Form von kommentierten und gegliederten Listen. Daran lassen sich auch Entwicklungstrends ablesen. Auch hier würde ich mich über Kommentare freuen!

m-uk: Christiane, Vielen Dank für Deine Zeit für dieses Interview. Leser, macht mit: http://www.kooptech.de/.

Das Interview führte Jörg Hoewner am 9.11.2007 via Skype.

Autor: Joerg Hoewner

Jörg Hoewner: Jg. 1969, ist Geschäftsführender Partner der K12 – Agentur für Kommunikation und Innovation und Consultant für moderne Unternehmenskommunikation in Düsseldorf. Seit 1995 berät er Kunden im Bereich Online Relations / Online-PR und war damit einer der ersten Berater in Deutschland auf diesem Feld. In den vergangenen 20 Jahren hat Jörg Hoewner zahlreiche Kunden beraten, viele Unternehmen (darunter DAX30-Unternehmen) und mehrere Verbände. Darüber hinaus ist er als Referent aktiv und Autor zahlreicher Fachbeiträge – online, in Zeitschriften und Büchern. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit dem Thema integrierte Kommunikation, deren Messbarkeit und der Auswirkung von Kommunikationstechnologien auf die interne und externe Unternehmenskommunikation. Kontakt: Jörg Hoewner (joerg.hoewner@k-zwoelf.com) – T. +49 (211) 5988 16 32.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


fünf × 4 =