Mit Reden für den Wandel begeistern.
Überzeugen und motivieren – dazu braucht es ein Gesicht, eine Person, die Verantwortung übernimmt. Die sich an die Spitze der Veränderungsbewegung stellt. Insbesondere in Zeiten des Wandels sollten Führungskräfte klar Stellung beziehen. Wie das gelingen kann, erzählt Caroline Waldeck im Interview. Sie ist Redenschreiberin der Staatsministerin für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt, Prof. Monika Grütters MdB.
Partizipation und Dialogorientierung prägen die moderne Ansprache – beispielsweise in den Sozialen Medien. Wann kann ein so „un-dialogisches“ Format wie eine Rede dennoch genau das Richtige sein?
Wenn eine Rede „un-dialogisch“ ist, dann ist es eine schlechte Rede. Eine gute Rede bezieht Erwartungen, Meinungen, Befindlichkeiten im Publikum mit ein und bereitet Argumenten und Ideen in der Gedankenwelt der Zuhörerinnen und Zuhörer den Boden. Damit ist die Rede auch eines der wirksamsten Führungsinstrumente, gerade dann, wenn Menschen sich mit einschneidenden Veränderungen konfrontiert sehen. Es sind aber nicht nur Zeiten des Umbruchs, die inspirierende Reden erfordern. Wo immer Entscheidungen nicht einfach autoritär verordnet werden können oder sollen, wo immer Entscheidungen breiter Zustimmung und Akzeptanz bedürfen, braucht es Rednerinnen und Redner, die mit der Kraft der Worte überzeugen.
Was können Reden ihrer Meinung nach bewirken – und wie wirken sie?
Gute Reden können Orientierung geben, Zuversicht vermitteln, Trost spenden, Begeisterung wecken, Veränderungsbereitschaft mobilisieren und Zusammenhalt stiften. Sie können Ängste in Hoffnungen, Wut in Sehnsucht und Enttäuschungen in Zukunftsträume verwandeln. Sie wirken im besten Sinne verführerisch, wenn sie zur Auseinandersetzung mit Argumenten und zum Perspektivenwechsel anregen – und im schlechtesten Fall manipulativ, wenn sie irrationale Ängste schüren oder niedere Instinkte bedienen.
Welche Verantwortung leitet sich daraus für Redner ab?
Ich glaube, es wäre fatal, würde man die Kraft der Worte denen überlassen, die damit manipulieren – die die Redefreiheit missbrauchen, um gegen Andersdenkende und Andersglaubende zu hetzen und gegen unsere demokratischen Errungenschaften zu agitieren. Jeder Redner, jede Rednerin sollte sich deshalb bewusst sein, dass schlecht vorbereitete, unverständliche, von Phrasen und Fachbegriffen durchsetzte Reden Steilvorlagen für Populisten sind. Wenn Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft, Medien oder Wissenschaft abgehoben und lebensfremd über die Köpfe der Zuhörer hinweg monologisieren, bestätigt das alle Vorurteile, die Populisten gegen die so genannten „Eliten“ schüren, und macht populistische Parolen umso anziehender. Das Bemühen, von seinen Zuhörerinnen und Zuhörern verstanden zu werden, ist deshalb der wichtigste Anspruch, den ein Redner, eine Rednerin an sich selbst stellen sollte. Das ist keineswegs banal, denn es setzt in gewisser Weise ein „Zuhören“ des Redners voraus: Aufmerksamkeit, Zugewandtheit dem Publikum gegenüber, vor allem aber die Auseinandersetzung mit den Standpunkten derer, die man überzeugen möchte.
Was macht eine gute Rede aus?
Auf Seiten des Redners, der Rednerin: Hirn, Herz und Haltung. Im Redemanuskript: ein strukturierender, alle Gedanken, Argumente, Geschichten und Beispiele miteinander verknüpfender roter Faden; eine klare, anschauliche Sprache mit Metaphern, die Brücken bauen zum Weltbild der Zuhörerinnen und Zuhörer; eine abwechslungsreiche Komposition aus Argumenten, Beispielen und Geschichten, der man gerne lauscht und die den Menschen hinter der oder dem Vortragenden sichtbar macht.
Was kann eine gute Rede ruinieren?
Ach, da gibt es tausend Möglichkeiten … Ein großes Ego zum Beispiel, das mit entsprechender Körpersprache, Mimik und Betonungen um Beifall heischt statt sich zur Stimme der Sache zu machen, der die Rede eigentlich gewidmet ist. Umgekehrt nützt das beste Redemanuskript natürlich nichts, wenn es mit gesenktem Blick vorgelesen – gar vorgenuschelt – statt vorgetragen wird oder wenn der Redner, die Rednerin sich damit nicht wohlfühlt. Emotionen, Pathos zum Beispiel sollte man als Redenschreiber vorsichtig dosieren – das kann nicht jeder glaubwürdig vortragen, selbst wenn es um ein wirkliches Herzensanliegen geht. Ein weiterer Weg in den Ruin eines Redeauftritts ist fehlende Empathie. Selbst ein brillanter Redner, eine brillante Rednerin mit einem exzellenten Redemanuskript kann das Publikum mit einer einzigen, beiläufig eingestreuten Bemerkung – ja, manchmal nur mit einem in bestimmten Gruppen negativ besetzten Begriff – schockfrosten oder gegen sich aufbringen, wenn sie Salz in offene Wunden streut oder irrationale Ängste weckt. Auch deshalb sollte man sein Publikum und dessen Befindlichkeiten gut kennen, erst recht dann, wenn man Menschen überzeugen möchte, die radikal andere Ansichten vertreten: nicht um ihnen nach dem Mund zu reden, sondern um ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Worte sich eignen, um konfliktträchtige Themen mit der Aussicht auf Verständigung anzusprechen.
Welche Redner beeindrucken Sie besonders?
Navid Kermani zum Beispiel, weil ich seine gleichermaßen prägnante wie poetische Sprache mag und weil er persönliches Erzählen und politische Analyse zu gestochen scharfen Panoramabildern verbindet, die die üblichen Denk- und Wahrnehmungschablonen sprengen. Außerdem Michelle Obama, die ihrem rhetorisch brillanten Ehemann in nichts nachsteht und Menschen mit ihrer Leidenschaft und Klarheit bewegt und inspiriert. Oder auch Gregor Gysi, weil er mich mit geistreichem Humor und Ironie zum Zuhören verführt, obwohl ich politisch nicht auf seiner Linie bin. Beeindruckt haben mich in den vergangenen Monaten auch immer wieder Kommunalpolitiker, die bei öffentlichen Redeauftritten mancherorts nicht nur kraftvolle Worte, sondern auch eine ganze Menge Mut brauchen, um Rechtspopulisten die Stirn zu bieten und die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen.
Wie ehrlich muss ein Redner sein, auch wenn seine Botschaft eigentlich keine Positive ist?
Als Redenschreiberin würde ich dem Redner die Gegenfrage stellen: Können Sie es sich wirklich leisten, nicht ehrlich zu sein? Können Sie es sich leisten, eine Chance zu verschenken, um für Veränderungen zu werben und Vertrauen zu gewinnen? Klar, wer in schwierigen Situationen die Karten offen auf den Tisch legt, riskiert etwas und macht sich angreifbar. Deshalb verschanzen sich viele Rednerinnen und Redner in solchen Situationen hinter gestanzten Phrasen und unverständlichem Fachkauderwelsch. Aber auch diese Entscheidung hat ihren Preis: Sie offenbart Führungsschwäche, zementiert den Status quo und treibt die Unzufriedenen in Scharen den Vereinfachern und Stimmungsmachern zu.
Wie gelingt es, mit einer Rede eine erwünschte Stimmung zu schaffen?
Das ist ein wichtiger Punkt, denn kein großer Redner, keine große Rednerin hat je allein mit Fakten überzeugt. Das bessere Argument braucht die Kraft geschliffener Worte, bewegender Erzählungen und eindringlicher Bilder, um gleichermaßen Verstand, Gefühl und Affekte zu erreichen. Die ersten Sätze einer Rede entscheiden meist schon, ob sie überhaupt Gehör findet oder nicht. Sie setzen nicht nur den Ton, sie entrollen nicht nur den roten Faden, der sich durch eine gute Rede zieht, ihr Struktur und Zusammenhalt gibt. Sie versetzen das Publikum im besten Fall in einen Zustand wohlwollender Neugier und wecken die Bereitschaft, den Gedankengängen der Rednerin oder des Redners zu folgen. Welcher dramaturgische Aufbau, welche Beispiele und Geschichten und welche stilistischen Mittel am besten geeignet sind, damit der Funke überspringt, kommt auf die Persönlichkeit des Redners, der Rednerin an, außerdem auf das Thema, den Anlass und das Publikum.
Wie gelingt es eine Sprache zu finden, die im besten Fall Barrieren überwindet?
Wenn es zum Anlass passt, kann Humor wahre Wunder wirken: Ein Publikum zum Lachen zu bringen, entwaffnet und entkrampft, weckt Sympathie, verführt zum Perspektivenwechsel und schafft sofort eine Verbindung zwischen Redner und Zuhörern. Grundsätzlich braucht es aber vor allem Empathie und Vorstellungskraft, um mit einer Rede Barrieren zu überwinden: die Fähigkeit, sich in die Menschen, die man erreichen möchte, hineinzuversetzen. Das kann man durchaus trainieren. Zum Beispiel ist es hilfreich, Vertraute im Publikum nach ihrer ehrlichen Meinung zur Wirkung der Worte zu befragen und aus dem Feedback für die nächsten Reden zu lernen. Hilfreich ist es auch, die eigenen Echokammern zu verlassen: raus aus dem eigenen Milieu, hinein in Lebenswelten, in denen Menschen andere Sorgen haben als die eigene geistige und politische Verwandtschaft. Hilfreich ist nicht zuletzt, Sprachroutinen zu verlassen – und damit auch die Routinen des eigenen Denkens. Mir persönlich hilft deshalb vor allem das Lesen. In der selbstvergessenen Lektüre ist es möglich, die Welt aus den Augen anderer Menschen zu sehen, mit denen man nichts gemein zu haben glaubt. Vor allem aber dringt poetische Sprache tiefer zur Wahrheit vor als unsere Alltagssprache, und Reportagen und Romane offenbar Wahrheiten, die in keinem Fachvermerk, in keiner wissenschaftlichen Studie und in keiner Statistik auftauchen.
In Reden werden häufig Klischees und Floskeln bemüht. Wann ist das durchaus in Ordnung und wie findet man wieder heraus, wenn man sich in einem zu argen Sprachbild verfangen hat?
Klischees und Floskeln sind völlig in Ordnung, wenn Sie als Rednerin oder Redner keinerlei Ehrgeiz haben, dass Ihre Ideen und Gedanken den Weg in andere Köpfe finden. Außerdem sollten Sie, wenn Sie die Floskelmaschine anwerfen, kein Problem damit haben, dass Ihre Zuhörer sich schon nach der ersten Phrase („Ich freue mich, dass Sie alle so zahlreich erschienen sind …“) ihrem Smartphone zuwenden oder ins Wachkoma fallen. Wenn Sie allerdings der Überzeugung sind, dass Sie etwas zu sagen haben, was mindestens die Aufmerksamkeit oder gar die Zustimmung der Menschen verdient, deren wertvolle Zeit Sie mit Ihrer Rede in Anspruch nehmen, sollten Sie Plastiksprache und Fertigteilrhetorik aus Ihrem Wortschatz streichen und viel Zeit und Mühe in ein gut formuliertes Redemanuskript investieren – oder Geld in eine professionelle Redenschreiberin oder einen professionellen Redenschreiber, der Ihnen ein rhetorisches Maßgewand schneidert. Letzteres schützt auch vor sprachlichen Verirrungen jeglicher Art.
Weiterführende Links:
„Populisten Paroli bieten“: Beitrag im Blog CARTA für Politik, Ökonomie und digitale Öffentlichkeit http://www.carta.info/autor/caroline-waldeck/
„Mehr Mut zum rhetorischen Risiko“: Handelsblatt-Gastbeitrag