Autor: Jörg Hoewner
Boris Klinnert ist Geschäftsführender Partner von Management Systems 24/7, die sich auf Krisenmanagementaudits spezialisiert hat. Wir haben ihn nach dem Ablauf von Krisenaudits, nach den häufigsten Fallstricken und dem Einsatz von Onlinemedien für die internen Prozesse gefragt.
Jörg Hoewner: Herr Klinnert, Sie haben mit Management Systems 24/7 eine Firma gegründet, die sich auf Krisenmanagementaudits spezialisiert hat. Was machen Sie da genau?
Boris Klinnert: Ein Krisenmanagementaudit ist eine mehrstündige Krisenübung, bei der die Funktion des Krisenmanagements überprüft und die Wirksamkeit der Krisenkommunikation beurteilt wird. Wir haben dazu detaillierte Kriterien entwickelt, die von den Auditoren beurteilt werden.
Jörg Hoewner: Warum sind solche Übungen wichtig und wie kann man eine reale Krise realistisch simulieren?
Boris Klinnert: Ob Krisenmanagement und Krisenkommunikation funktionieren kann man letztendlich nur im Praxisfall gezeigt werden. Im Bereich der Gefahrenabwehr und des Notfallmanagements ist das bereits selbstverständlich. Ein Krisenmanagementaudit ist im Prinzip eine Feuerwehrübung unter dem Aspekt der Unternehmenskommunikation. Wir greifen dabei auf Szenarien zurück, die auch bisher bei Notfallübungen verwendet werden.
Jörg Hoewner: Wie kann ich mir den Ablauf eines Audits konkret vorstellen?
Boris Klinnert: Das hängt natürlich von der Art des Krisenereignisses ab. Wir simulieren ja nicht nur Großschadensereignisse und Störfälle, sondern auch Produktrückrufe, Medienangriffe, Erpressungen u.a.. Meist beginnen die Audits mit einer Ereignismeldung und der Alarmierung des Krisenteams. Und dann wird Kommunikationsdruck auf das Unternehmen erzeugt. Anwohner, Journalisten, Angehörige, Behördenvertreter, Kunden und Lieferanten bombardieren das Unternehmen mit Anfragen zu ganz unterschiedlichen Anliegen. Diese Interessengruppen werden von den Mitarbeitern von Management Systems 24/7 gespielt. Wir berücksichtigen dabei die Ergebnisse aus Analysen zahlreicher realer Krisenfälle. Die kritische Kommunikationsphase dauert in der Regel drei bis vier Stunden.
Danach wird die Übung mit einem kurzen Feedback beendet. Das Unternehmen erhält anschließend einen detaillierten Auditbericht, der eine Beurteilung der Leistung des Krisenteams enthält.
Jörg Hoewner: Was sind die häufigsten Fallstricke, wo hapert es bei den meisten Unternehmen?
Boris Klinnert: Die Auswertung zahlreicher Krisenübungen hat vor allem zwei Schwachpunkte gezeigt: Gerade bei krisenhaften Ereignissen, die außerhalb der normalen Geschäftszeit liegen, wie zum Beispiel Störfälle, sind die Unternehmen oft nicht in der Lage schnell mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Denn Anwohner, Angehörige von Opfern und Journalisten haben ein großes Informationsbedürfnis, das sofort befriedigt werden will. Zum anderen hat sich gezeigt, dass es von verschiedenen Unternehmensstellen oft widersrüchliche oder nicht aktuelle Informationen zum Ereignis gibt. Grund dafür ist vor allem die dezentrale Verfügbarkeit von Informationen innerhalb des Unternehmens. In beiden Fällen kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Unternehmen zusätzlich zu dem Schadensvorfall beeinträchtigt werden.
Jörg Hoewner: Was sind – grob gesagt – Kriterien für das Audit?
Boris Klinnert: Die wichtigsten Kriterien sind: Erreichbarkeit und Sprachfähigkeit des Unternehmens, Reaktionszeit in Bezug auf die Lageentwicklung, Einheitlichkeit der Unternehmensaussagen und Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen zum Schutz des Vertrauens in Unternehmen und Marke.
Jörg Hoewner: Ist so ein Audit auch für Mittelständler geeignet oder eher was für große Unternehmen?
Boris Klinnert: Das Audit ist für alle Unternehmen geeignet, die ein Krisenmanagementsystem implementiert haben. Das Krisenpotenzial eines Unternehmens hängt dabei weniger von der Größe ab als vielmehr von der Bekanntheit der Marke und der Branche. Viele mittelständische Unternehmen aus den Bereichen Chemie, Touristik, Verkehr, Energieversorgung, Lebensmittel und Gesundheit beistzen ein Krisenmanagementsystem.
Jörg Hoewner: Welche Rolle spielen bei den internen Kommunikationsabläufe digitale Medien, speziell Web2.0-Techniken?
Boris Klinnert: Webbasierte Medien bieten sich an, um den unternehmensinternen Informationsfluss im Krisenfall zu steuern. Sie ermöglichen eine zentrale Informationshaltung, eine schnelle Verfügbarkeit der Informationen und eine lückenlose Dokumentation der Entscheidungen und Aussagen zu jedem Zeitpunkt. Dadurch könnten die zwei Schwachstellen, die wir eben aufgezeigt haben, behoben werden.
Jörg Hoewner: Und werden digitale Medien zu diesem Zweck tatsächlich genutzt?
Boris Klinnert: Nach unseren Erfahrungen erfolgt der Informationsfluss auch in großen Konzernen im Krisenfall eher per Telefon, Fax und E-Mail. Dokumentiert wird überwiegend auf Papier, zum Beispiel bei Telefonprotokollen, Lageprotokollen und Protokollen des Krisenstabs. Aber es gibt auch einige Unternehmen insbesondere aus den Bereichen Luftfahrt, Großchemie und Energieversorgung, die den Informationsfluss überwiegend digital steuern. Allerdings ist uns kein Unternehmen bekannt, dass dazu konsequent die Möglichkeiten von Web2x-basierten Systemen nutzt.
Jörg Hoewner: Kann man sagen, dass Web2.0 in der internen Krisenkommunikation noch kein Thema ist?
Boris Klinnert: Ja, Web2.0 spielt in der Krisenkommunikation bisher keine Rolle.
Jörg Hoewner: Herr Klinnert, vielen Dank für das Interview.
Das Interview wurde am 18.1. von mir via Skype geführt.
„Guten Tag,
auch wenn der Artikel schon gut 1 Jahr alt ist, möchte ich doch kurz auf einige Aussagen eingehen.
Die beschriebenen Erfahrungen, das sich der Informationsfluss, auch in Großkonzernen, eher auf Fax, Telefon und Email beschränkt sind sicherlich richtig. Es wäre auch nicht im Sinne einer „guten PR-Krisen-Prävention“, wenn man sich nur auf das Medium Web 2.0 verlassen würde. Solche Systeme sind ja schließlich auch „Störanfällig“.
Ich kann aber auch aus Erfahrung sagen, das es sehr wohl schon Unternehmen gibt, die sich mit Krisenkommunikation durchs Web beschäftigen und webbasierte Systeme einsetzen.
Insbesondere die Standortunabhängigkeit, Kollaboration, der Freigabe-Workflow und die Dokumentation der eingeleiteten Maßnahmen spielen im diesem Zusammenhang eine immer größere Rolle.
Ansonsten finde ich es gut und richtig, eine Art Standard für Krisenaudits zu initialisieren und in regelmäßigen Abständen durchzuführen. Ein sehr guter Ansatz von Herrn Klinnert und von Ihnen gut zusammen getragen.
Weiterhin viel Erfolg und beste Grüße aus Berlin
Christoph Pawlazyk“
Hallo Herr Pawlazyk,
Sie haben schon recht, einige Unternehmen sind in diesem Bereich schon unterwegs (ich berate bzw. habe in diesem Bereich auch Kunden beraten), aber insgesamt sehe ich schon einen Nachholbedarf. Das fängt beim Monitoring von Social Media an und hört dabei auf, wo und wie man aktiv in kritischen Situationen mit Stakeholdern kommunizieren kann.
Leider beschränkt sich Onlinekrisenkommunikation meistens noch darauf, wie man schnell aktuelle Informationen auf die Website bringt und das in den Prozessen berücksichtigt.
Lieben Gruß
Jörg Hoewner
Guten Abend,
vorweg möchte ich folgendes klarstellen. Nein, Herr Hoewner schreibt nicht mit sich selbst! 😉 Da der Spamfilter etwas rigoros war und meinen Kommentar nicht akzeptieren wollte, habe ich Herr Hoewner direkt angeschrieben. Er war dann so nett den Beitrag hier einzufügen.
Da gebe ich Ihnen Recht, das … lassen Sie es mich so ausdrücken,… noch nicht alle Phasen der Krisenkommunikation oder der Prävention von PR-Krisen durch web-2.0-Lösungen abgedeckt sind. Deswegen versuchen wir auch, zusammen mit unseren Kunden das „Leistungsspektrum“ unserer Lösung zu erweitern.
Aber gerade das Monitoring von „Social Media“ oder der aktuellen Lageentwicklung ist ein komplexes Thema welches viel Know How und Zeit in Anspruch nimmt.
Abendliche Grüße,
Christoph Pawlazyk