Vor einigen Jahren war „UX Writing“ noch ein abstrakter Begriff, der hin und wieder im Zusammenhang mit dem Silicon Valley auftauchte, aber keine große Beachtung fand. Heute verbirgt sich dahinter ein rapider wachsender Tätigkeitsbereich mit geringen Einstiegsbarrieren, der hohes Potenzial verspricht. Aber stimmt das auch oder handelt es sich dabei nur um ein weiteres Buzzword? Wir erklären euch, was es damit auf sich hat und was gutes UX Writing für eine digitale Anwendung bedeutet.
Laut DIN EN ISO 9241-210 beschreibt die User Experience „die Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die sich aus den Erwartungen an und den Interaktionen mit einem digitalen Produkt, System oder einer Dienstleistung ergeben“. Daraus lässt sich ableiten, was UX Writing bedeutet: Texte für digitale Produkte wie Websites oder Apps so zu schreiben, dass Nutzer:innen die Bedienung leichtfällt. Ganz konkret: Jedes Wort strategisch so zu wählen, dass Menschen intuitiv das finden, was sie suchen.
Disziplinen sollten nicht getrennt arbeiten
Damit befindet sich UX Writing an der Schnittstelle zwischen der Analyse und Recherche, dem User Interface und der Content Strategie. Denn: Für eine positive User Experience sind die richtigen Worte bei jedem Schritt entscheidend. Ohne Worte wären die meisten Websites und Apps nicht nutzbar. Und ohne gut durchdachtes UX Writing verliert man viele potenzielle Nutzer, weil diese sich nicht zurechtfinden.
Um das zu verhindern, sollte das Team, das ein digitales Produkt entwickelt, fachlich divers zusammengestellt sein: Business gibt auf Basis von Analysen und Recherche Input zur Zielgruppen-Sprache und zur Ausrichtung von Inhalten (Content Strategie), die UX Writer verarbeiten diese Inhalte und tauschen sich ebenfalls intensiv mit den User Interface Designern aus. Disziplinen, die nicht getrennt voneinander arbeiten sollten.
Nutzerzentrierte Sprache bringt viele Vorteile für digitale Produkte
Ein UX-Text hat vor allem eine navigierende Funktion. Er leitet die Nutzer:innen, damit diese möglichst schnell und ohne Umwege an ihr Ziel gelangen. Gutes UX Writing steigert also auch die Effizienz des vorhandenen Textes und gibt Sicherheit im Umgang mit dem Produkt.
Zusätzlich sollen sich Nutzer:innen bei der Verwendung des Produkts wohlfühlen. Das wird durch eine möglichst natürliche, emphatische Wortwahl gewährleistet. Im E-Commerce kann sich diese positive Nutzererfahrung auch direkt auf die Umsätze auswirken. Mit Bedacht gewählte Buttontexte können beispielsweise darüber entscheiden, ob ein Kauf abgeschlossen oder abgebrochen wird.
Nur netter Text?
Doch UX Writing ist mehr als nette Worte. Gutes UX Writing, das sich intensiv mit den Nutzer:innen auseinander gesetzt hat, schafft einen beachtlichen Mehrwert für das Image einer Marke und die Kundenbindung – denn Nutzer:innen interagieren mit Websites und Apps wesentlich intensiver und emotionaler als mit klassischen Werbemitteln wie Reklametafeln oder Werbespots. Jede Interkation bietet eine Möglichkeit, die Werte und den Charakter einer Marke zu transportieren. Damit wird UX Writing zum nachhaltigen Bestandteil der Markenkommunikation.
Wer macht es?
Um UX Writing im Unternehmen oder in der Organisation zu etablieren, braucht es keine neue Stellenausschreibung. Viele UX Writer kommen aus dem UX Design, aus der Produktentwicklung, Marketing, PR – also aus Bereichen, die sich tagtäglich mit Nutzer:innen-Bedürfnissen auseinandersetzen.
Folgende Prinzipien helfen, einen guten UX-Text zu erstellen:
- CLEAR – Klar
Texte sollten klar und deutlich formuliert sein. Wortneuschöpfungen mögen pfiffig klingen, irritieren die Nutzer:innen aber ebenso wie Metaphern ect. Begriffe sollten immer mit der gleichen Definition verwendet werden. Einfach verständliches Vokabular verhindert Unsicherheiten und Missverständnisse. - CONCISE – Präzise
Ähnlich wie beim Verfassen von Werbetexten ist es auch für gutes UX Writing wichtig, sich präzise auszudrücken. Nicht ausschweifend formulieren, sondern schnell auf den Punkt kommen. Das steigert die Effizienz des Textes – es wird mit möglichst wenigen Worten möglichst viel erreicht. - CONSTRUCTIVE – Nützlich
UX Texte erfüllen im Kern alle den gleichen Zweck: Die Nutzer:innen zu ihrem Ziel zu führen. Niemand liest einen UX-Text, nur um ihn zu lesen. - CONVERSATIONAL – Dialogorientiert
Nutzer:innen sollen von Anfang bis Ende der Interaktion bzw. der User Journey eine möglichst gute User Experience haben. Die Texte sollten also möglichst natürlich klingen – als würde man ein Gespräch führen. Man schreibt für Menschen, nicht für Maschinen. - CONSISTENT – Konsistent
Bei der Konsistenz geht es vor allem um einen einheitlichen Sprachgebrauch. Das umfasst die Ansprache ebenso wie den Tonfall im Umgang mit den Nutzer:innen. Soll die Ansprache beispielsweise strikt professionell und distanziert sein oder gibt es eine einheitliche Brandsprache?
Neben diesen fünf Grundprinzipien ergibt sich aus dem sich stetig erhöhenden Bewusstsein für Barrierefreiheit im Internet aber noch ein sechstes Prinzip für gutes UX Writing:
- INCLUSIVITY – Inklusion
Das bedeutet, dass der Text niemanden ausschließt und für jeden verständlich ist, unabhängig von körperlichen Einschränkungen, Bildungsniveau, kulturellem Hintergrund, Geschlechtsidentität, ect. Außerdem ist er auch für Screenreader lesbar und lässt sich gut übersetzen.
Nachdem nun geklärt ist, was gutes UX Writing ausmacht, bleibt noch eine andere Frage offen: Wann und wie kommt UX Writing bei der Entstehung einer digitalen Anwendung ins Spiel? Die Antwort ist eigentlich ganz simpel: Je früher, desto besser. Im Sinne des responsive Webdesign gilt „Content First“, und das lässt sich auch auf UX Writing anwenden. UX-Text soll keine Lücken füllen, wenn alles andere schon fertig ist, sondern von Anfang an dazu beitragen, das Produkt, das System oder die Dienstleistung nutzerorientiert zu gestalten.
Je nach Größe und Budget für ein Projekt ist es dabei nicht immer möglich, eine:n professionelle:n UX Writer:in mit ins Team zu holen. Aber dennoch sollte man intern jemanden festlegen, der oder die für das Texten verantwortlich ist – idealerweise schon ab dem ersten Briefing. Das bestmögliche Ergebnis wird erzielt, wenn das Texten im Austausch mit dem restlichen Team geschieht. Um den UX-Text zu optimieren, bietet es sich außerdem an, Feedback nicht nur intern durch andere Teammitglieder einzuholen, sondern auch extern durch Nutzertests.
Zukunft von UX Writing
Und wie geht’s weiter? In den folgenden Bereichen wird UX Writing eine wichtige Rolle spielen oder intensiver zum Einsatz kommen:
- Legal UX Writing: Cookie-Banner, DSGVO Kleingedrucktes, AGBs – ja, das hört sich trocken an. Aber ist sehr wichtig! Damit Nutzer:innen diese rechtlichen Aufklärungsinformationen bewusster durchlesen und auch verstehen, wofür sie gerade OK-Haken setzen, wird UX Writing noch verstärkt ins Spiel kommen.
- Voice UI: UX Writing muss nicht immer sichtbar sein. Sprachassistenten (Alexa, Google Home, Siri, …) basieren auf der „Gestaltung“ der Sprache. Die Interaktion soll wie mit einem Menschen wirken – natürlich.
- Conversational Design (Chatbots): Chatbots greifen auf ein ähnliches Designmuster wie Voice UI zurück, wobei hier die Konversation mit dem Menschen über die Texteingabe stattfindet. Aber auch hier ist UX Writing gefragt. Wie wirkt so ein Chat flüssig, menschlich und führt den/die Nutzer:in im Gespräch möglichst schnell ans Ziel.
- Translation und Localization: Was sich simpel anhört, ist es dann manchmal doch nicht – Übersetzungen sollten nicht stupide mit DeepL oder Google Translate ausgeführt werden. Wenn Texte übersetzt werden, sollte man auch beachten: Aus welcher Kultur kommen die Texte? Haben die Texte hier in Deutschland immer noch die gleiche Bedeutung wie in Japan? Deswegen rät man immer mehr dazu „Localization“ zu beachten. Also den lokalen Kontext.
- Ethik, Inklusion, Barrierefreiheit, Diversität: UX Writing ist auch dafür verantwortlich, alle Gruppen mitzudenken. Zum Beispiel bei der Geschlechterabfrage: Wozu benötige ich sie und warum bieten wir nur die Möglichkeit Mann/Frau an? Schließen die Texte alle Personengruppen ein? Sind sie leicht zu lesen? Haben die Texte immer das Wohl der Nutzer:innen im Sinn?